Digitalisierung: Falscher Ansatz


Zur Zeit dreht sich fast alles um die Digitalisierung; es gibt kaum in Problem, das anscheinend nicht mit Digitalisierung gelöst werden kann. Und wenn etwas nicht zur Zufriedenheit ausfällt, dann ist daran die allzu schleppende oder gar nicht vorhandene Digitalisierung schuld. Die digitale Transformation ist, kurz gesagt, der Einstieg in eine bessere Welt. Wie tönt es lautstark aus dem Silicon Valley heraus? "We'll make the world a better place." Heißa, bei einem dermaßen positiven Beitrag, den die Digitalisierung zur Rettung bew. Verbesserung der Welt leistet, kann man sich eigentlich nur wundern, dass die Menschheit mehrere Jahrtausende überlebt hat - ohne Digitalisierung.

Sei's drum. Wir wissen inzwischen alle, dass die Digitalisierung nicht nur Gutes bewirkt, doch die Nachteile werden geflissentlich ignoriert oder als unvermeidliche Nebenwirkungen in Kauf genommen. Nebenwirkungen, dia aber auf keinen Fall die Dynamik der digitalen Innovation bremsen sollen. Das jedenfalls scheint die einhellige Meinung der Poltiker, Medienvertreter, Wirtschaftsbosse oder auch der allgemeinen Bevölkerung zu sein. Mulmige Gefühle werden wegtrainiert, und sofern das nicht funktioniert, bleibt immer noch der Trost, dass die Entlwicklung ohnehin nicht aufzuhalten ist. Das sorgt auf jeden Fall für ein ruhiges Gewissen. Was tun? Sich einfach mit der Situation arrangieren, das Beste draus machen.

Bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber der Digitalisierung: Irgendetwas läuft da nicht so, wie es eigentlich laufen sollte. Irgendwelche Weichen sind von vornherein falsch gestellt worden. Doch welche? Einen möglichen Hinweis hat unser Verkehrsminister, Volker Wissing, neulich von sich gegeben, und zwar ohne Absicht. Wissing lobte die Digitalisierung und beteuerte, dass es nicht schnell genug mit der digitalen Transformation gehen könne. Die Vorteile, die die Digitalisierung verschaffe, seien enorm. Und dann pries er besonders die künstliche Intelligenz, bei deren Weiterentwicklung Deutschland eine führende Rolle einnehmen müsse. So drückte er sich sinngemäß aus und untermalte die tollen Zukunftsaussichten, indem er, geradezu schwärmerisch, darauf hinwies, dass künstliche Intelligenz sogar Texte verfassen könne, die nicht von Texten zu unterscheiden seien, die von Menschenhand entstehen würden. - Einige Tage später erfuhr ich erstmalig von der Software "OpenGPT", die Texte auf verblüffend echte Weise erstellen kann. Ob Wissing bei seiner digitalen Schwärmerei an dieses Programm dachte, weiß ich nicht.

Mir war und ist sehr mulmig zumute, wenn ich dan solche "Leistungen" der künstlichen Intelligenz denke. Denn eines ist klar: Die algorithmisch erstellten Texte (oder was sonst noch von der KI fabriziert wird) mögen noch so echt erscheinen, sie sind aber nicht echt und werden es niemals sein können. Alles, was die digital aufgeschlossene Welt so begeistert, ist nichts anderes als humanoide Fassade, das Vorgaukeln von menschlich erscheinenden Leistungen. Die Welt bejubelt die Errungenschaften der KI und bemängelt allenfalls die immer noch auftretenden Schwächen. Ich sage es rundheraus: Solange es noch erkennbare Schwächen gibt, ist die KI noch einigermaßen harmlos. Je leistungesfähiger sie wird, desto gefährlicher und zerstörender wird sie gleichzeitig.

Damit gelange ich zur Kernfrage der digitalen Entwicklung: Was muss das Ziel sein? Nach allgemeinem Verständnis kommt es darauf an, die digitalen Systeme möglichst leistungsfähig zu machen. Doch das ist meines Erachtens der falsche Ansatz. Bei einer Entwicklung, die dermaßen intensiv in die humanen Belange der Gesellschaft eingreifen kann wie die Digitalisierung, darf die Frage nach der ethischen Berechtigung nicht außen vor bleiben.

Der Ansatz, alles zu mit digitalen Mitteln zu realisieren, was man realisieren KANN, ist falsch. Es muss vielmehr die Frage gestellt werden, was man auf diesem Wege realisieren DARF.

Diese Prämisse sollte in einer werteorientierten, auf Nachhaltigkeit bedachten Gesellschaft selbstverständlich sein. Gerade heute erhalten wir unmissverständlche Hinweise, wie wichtig die Frage nach dem Dürfen ist. Denken wir and die Ausnutzung der Kernkraft (sowohl für militärische als auch für friedliche Zwecke). Ja, wir können noch einen Schritt weiter gehen und an den Verbrauch fossiler Energie denken. Die ganze technische Entwicklung der letzten beiden Jahrhunderte war von der Frage nach dem Können geprägt. Sicher, die Folgen der hemmnungslosen, übermäßigen Industrialisierung sind erst seit kurzem wirklich erkennber, aber nun haben wir das Malheur, und nun wissen wir, was falsch gelaufen ist. Auch wenn viele Zeitgenossen das nicht so sehen wollen, weil ... ach, Quatsch, die Gründe brauche ich nicht aufzuzählen, sie sind hinlänglich bekannt.

Ein anderes, ganz aktuelles Beispiel: Allmählich sickert durch, welche schlimmen Folgen die übermäßige Verwendung der PFA-Stoffe hat - gesundheitliche und ökologische. Die Stoffe werden nämlich so gut wie nicht abgebaut, reichern sich an und wirken dann schädigend. Dabei sind die PFAs regelrechte Tausendsassas. Beeindruckend, was die alles können. Aber dürfen wir sie auch so ungehemmt einsetzen? Die Situation lässt sich ganz gut auf Kunststoffe allgemein übertragen. Auch die sind nützlich bis unersetzlich, aber auch schädlich, wenn wir zum Beispiel an den Verpackungsmüll denken.

Zurück zur Digitalisierung. Eine entscheidende Frage ist, ob man die Digitalisierung überhaupt noch steuern kann, was von Fall zu Fall auch heißen kann, die Digitalisierung zu begrenzen. Hier sehe ich schwarz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser auf höchstes Tempo gebrachte Zug noch lenkbar ist. Er würde bei dem Versuch, ein anderes Ziel anzustreben, wahrscheinlcih aus der Weiche springen. Die Gründe sind vielfältig. Auf einige davon möchte ich kurz eingehen.

  • Geld. Denken wir nur an die großen IT-Konzerne und ihre Milliardengewinne. Und da Geld auch Macht bedeutet, brauchen sie keine Regulierung zu befürchten, allenfalls kleine Nadelstiche seitens der EU, die mit einem Lächeln weggesteckt werden.
  • Fortschrittsgläubigkeit. Heute ist grundsätzlich besser als gestern. Morgen ist dank technischer Innovationen ganz bestimmt besser als heute. Version 7.4 ist besser als Version 6.4. Schlechter? Nein, geht nicht, weil nicht sein kann was nicht sein darf.
  • Komfort. Ach ja, das ewige Versprechen der Digitalisierung, von dem sich die Leute bis in alle Ewigkeit treuherzig-naiv verführen lassen, auch wenn es nur Pseudo-Komfort wie der ganze Smart-Home-Kram ist. Überhaupt werden Komfort und Bequemlichkeit gerne verwechselt.
  • Rationalisierung. Erhöhung der Produktivität. Optimierung der Informationswege. Usw. Dies sind sicherlich Digitalisierungs-Motive, die echte Fortschritte ermöglichen, sofern die Sache vernünftig und verantwortlich angepackt wird. Das heißt: Finger weg von der digitalen Manipulation von Menschen; Menschen dürfen niemals digital gesteuert werden. Und wenn Maschinen oder Algorithmen an ihre Stelle treten, dann müssen es erkennbar Maschinen und Algorithmen bleiben.

Mit dem letzten Punkt sind wir wieder beim Thema OpenGPT, also beim Verfassen von Texten mittels KI-Algorithmen. In verblüffender Verkennung der wirklichen Gefahren wird vor so schrecklichen Dingen wie dem Schreiben von Hausaufsätzen mittels Chatprogramm gewarnt. Mein Gott, Mogeln als Bedrohung für die gesellschaftliche Zukunft? Kleiner Tipp: Sorgt doch dafür, dass jeder (!) von OpenGPT (o.a.) verfasste Text deutlich als solcher gekennzeichnet wird. Ganz dick, unübersehbar. Geht nicht? Doch, das geht. Das Problem ist, dass es auch gewollt sein muss. - Dies nur als Beispiel.